Vegane Seide für die industrielle Produktion

Die AMSilk-Seidenbiopolymere findet man heute bereits in der Flugzeug-, Mode-, Kosmetik oder Pflanzenschutz-Branche sowie in Medical Devices

Interview mit Ulrich Scherbel, Geschäftsführer AMSilk GmbH

AMSilk ist heute weltweit der erste industrielle Hersteller von veganen Seidenbiopolymeren. Blicken wir zu den Anfängen: Prof. Thomas Scheibel, Mitgründer von AMSilk, entwickelte ein Verfahren, um mit Bakterien Spinnenseidenproteine zu produzieren und mithilfe von Bakterienfermentation aus pflanzlichen Rohstoffen, Seide zu erzeugen. Das patentierte Verfahren beruht auf dem Einsatz gentechnisch veränderter E.coli-Bakterien. Die Bakterien wurden quasi umprogrammiert, sodass sie Spinnenseidenproteine produzieren. In einem speziellen Verfahren werden diese Eiweißmoleküle nun unter anderem zur Beschichtung von Medizinprodukten verwendet oder zu besonderen Fasern versponnen. Im Interview mit Susanne Simon, Leitung Presse- und Öffentlichkeitsarbeit IZB, erläutert Ulrich Scherbel, Geschäftsführer der AMSilk GmbH, in welchen Branchen die vegane Seide derzeit schon zum Einsatz kommt.

Welches Ziel verfolgen Sie mit diesen innovativen Seidenpolymeren?
AMSilk hat eine Technologie, die in der Lage ist, beim Umbruch der etablierten Industrie hin zu einem ressourcen-schonenden Wirtschaften eine wichtige Rolle zu spielen. Wir werden die Produktion von 40 Tonnen auf 10.000 Tonnen pro Jahr hochfahren und haben so die Möglichkeit, mit vielen Kooperationspartnern aus den unterschiedlichen Branchen zusammenzuarbeiten. Die AMSilk-Produkte bestehen aus langkettigen Seidenproteinen. Sie haben die Eigenschaft, sich auf Oberflächen selbst zu organisieren und diese zu beschichten. Durch diese einzigartigen Eigenschaften sehen wir Potential in vielen Industrien.

In welchen Branchen ist AMSilk derzeit aktiv?
AMSilk arbeitet mit starken Brands und Partnern gemeinsam daran, im ersten Halbjahr in 2022 neben Uhrenarmbändern weitere kommerzielle Produkte im Sport und Modebereich auf den Markt zu bringen.

Schuhbranche: Schuhobermaterial aus veganer Seide
Mit adidas haben wir gemeinsam den Prototyp Sportschuh Futurecraft Biofabrics entwickelt. Der Schuh besteht aus einem Obermaterial welches zu 100 Prozent aus unserer Biosteel Faser besteht. Das Material vereint auf einzigartige Weise Eigenschaften, die für eine hohe Leistungsfähigkeit entscheidend sind. Somit ist das Produkt leichter, atmungsaktiver und zudem biologisch abbaubar.

Flugzeugbau: Gewichtsreduzierung und Einsparung von Kraftstoff
Die Luft- und Raumfahrindustrie setzte in den letzten Jahren zum Bau des Rumpfes oder Flügel weniger Metall ein. Stattdessen verwendet sie zunehmend Carbonfaser-Verbundwerkstoffe. Hauptgrund hierfür ist die Gewichtsreduzierung des Flugzeugs und die Einsparung von Kraftstoff. Der neue Verbundwerkstoff wird mit der Biosteel® Fasertechnologie von AMSilk hergestellt, die eine Leichtbauweise ermöglicht. Der Werkstoff ist damit flexibel und hält wiederholten Belastungen, wie z. B. Stößen, besser stand.

Uhrenindustrie: Neue Uhrenarmbänder mit veganer Seide von AMSilk
Mit einem Schweizer Luxusuhrenhersteller haben wir Textilarmbänder mit Biosteel® Fasern hergestellt. Diese werden in das traditionelle Gewebe integriert. Somit sind die Armbänder im Vergleich zu den früheren aus Polyamid leichter, komfortabler und hautfreundlicher.

Medical Devices: AMSilk-Seidenpolymere in Brustimplantaten
Unsere Seiden Biopolymere werden bakteriostatische Eigenschaften nachgewiesen. Gemeinsam mit unserem Kooperationspartner Polytech in Dieburg beschichteten wir die ersten Silikon-Brustimplantate mit den Seiden-Biopolymeren. In einer Klinischen Studie wurde zum ersten Mal die von der AMSilk biotechnisch hergestellte Seide auf Brustimplantaten im menschlichen Körper eingesetzt. Die einzigartige Beschichtung von AMSilk bildet eine dünne und flexible physische Schnittstelle aus Seidenprotein zwischen der Silikonoberfläche der POLYTECH-Implantate und dem umgebenden Gewebe. Der Körper erkennt das Seidenprotein als natürliche Oberfläche, was zu einer verbesserten Biokompatibilität führt. Bereits in präklinischen Studien zeigte sich eine gesteigerte Verträglichkeit der seidenbeschichteten Implantate. Es wird deshalb erwartet, dass es zu einem verbesserten Heilungsverlauf kommt und postoperative Komplikationen (wie z.B. Kapselfibrose) durch diese innovative Beschichtung verringert werden können.

Modeindustrie: Biologische Herstellung unter Verzicht auf Tötung von Seidenraupen
In der Bekleidungsindustrie steht Seide für höchsten Luxus. Bei der herkömmlichen Produktion natürlicher Seide werden 5.000 Seidenraupen getötet. Für die Modeindustrie, die zunehmend auf Nachhaltigkeit setzt, ist es besonders wichtig, dass kein Tier sterben muss. Bei AMSilk’s veganer pflanzenbasierter Seide ist dies nicht der Fall, da wir die Seide nach biologischen Herstellungsverfahren produzieren.

Kosmetik: Verkauf der Kosmetiksparte an Givaudan
Im April 2019 verkaufte AMSilk seine Kosmetiksparte an das Schweizer Unternehmen Givaudan, einer der weltweit größten Hersteller von Kosmetikrohstoffen. Diese veganen Seiden Biopolymere eignen sich für verschiedenste Anwendungsmöglichkeiten über Kategorien wie Haar- und Hautpflege hinweg und machen dort Produktmerkmale wie Silk Touch, Anti-Pollution-Effekt und Farbschutz für Haare möglich.

Biologischer Pflanzenschutz mit AMSilk´s veganer Seide
Bisher haben wir über die Bereiche Faser und Medizintechnik gesprochen. Daneben gibt es ein weiteres innovatives Thema bei AMSilk. Wir arbeiten bereits mit dem größten Hersteller im Bereich Pflanzenschutz an einem Produkt, das auf Pflanzen angespritzt wird. Dies hat zur Folge, dass sich die Schädlinge nicht mehr am Saatgut halten können.

Wie sieht Ihre weitere Unternehmensstrategie aus?
Unsere Gesellschafter unterstützen unsere Vision, die besten und nachhaltigsten Biomaterialien der Welt für jedermann zugänglich zu machen. Gemeinsam haben wir das Ziel, AMSilk zu einem weltweit führenden Unternehmen für biotechnologische Hochleistungsmaterialien zu machen.

Im Jahr 2008 wurde AMSilk als Spin-off der Technischen Universität München gegründet. Dank der Unterstützung der Gesellschafter AT Newtec GmbH und MIG Fonds konnten wir uns von einem bescheidenen Startup zu einem etablierten, renommierten Industriepartner im Bereich der Biomaterialien entwickeln.

Wir sind dankbar, dass unsere ersten Gesellschafter uns von Anfang an auf unserem Weg unterstützt haben. Im Jahr 2021 traten weitere namhafte Gesellschafter dem Unternehmen bei und unterstützten uns, den nächsten Schritt anzugehen.

Gemeinsam mit unseren bestehenden Gesellschaftern sowie mit Novo Holdings und Cargill, werden wir die Industrialisierung beschleunigen und unsere Geschäftstätigkeit auf neue Märkte ausweiten.

Um diese Projekte mit der notwendigen Professionalität und Geschwindigkeit stemmen zu können, wird sich die Zahl der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in den nächsten Monaten mehr als verdoppeln. Wir werden das AMSilk Team, das Großartiges geleistet hat, vor allem um erfahrene Spezialisten aus diesen Industrien ergänzen.

Was bedeutet der Standort im IZB für AMSilk?
Das IZB ist unsere Homebase und bietet ein fantastisches Netzwerk und eine tolle Infrastruktur, um vom Start-up bis zum börsennotierten Unternehmen zu wachsen. Da wir uns in einer neuen Phase des Unternehmens befinden, haben wir einen neuen Biotech-Standort gesucht. Im Jahr 2022 wird die AMSilk am Campus Neuried ansässig sein und freut sich auf neue Gespräche und Kontakte.