Vom Start-up an die NASDAQ

Immunic entwickelt innovative Wirkstoffe gegen chronische Entzündungs- und Autoimmunerkrankungen

Jeder zweihundertste Deutsche ist von chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED) betroffen. Wer ein Medikament gegen diese verbreitete Krankheit entwickelt, betritt einen Milliardenmarkt. Die Immunic AG wurde 2016 gegründet und entwickelt „Best-in-Class“-Therapien zur Behandlung von chronischen Entzündungs- und Autoimmunerkrankungen. Bereits nach einem Jahr erhielt das Start-up eine Erstrundenfinanzierung in Höhe von 31,7 Millionen Euro. Nach weiteren zwei Jahren ist Immunic nun durch einen Aktientausch mit Vital Therapies, beheimatet in San Diego, USA, als Immunic, Inc. an der New Yorker Börse NASDAQ gelistet (NASDAQ: IMUX). Parallel zum Closing haben die bestehenden Investoren weitere 26 Millionen Euro investiert. Das Unternehmen, das im IZB ansässig ist, verlegt seinen Hauptsitz nun in die USA. Die Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten verbleiben in Martinsried. Selten gab es einen solch kometenhaften Aufstieg eines Biotech Start-ups. Warum Immunic auch von den Investoren als vielversprechend eingestuft wird und welche Kooperationen entscheidend für den Erfolg waren, erläutert Dr. Daniel Vitt, CEO von Immunic, im Interview mit Susanne Simon für die „IZB im Dialog“.

Dr. Daniel Vitt_Dr. Hella Kohlhof_Dr. Manfred Gröppel_Dr. Andreas Mühler_Immunic

Dr. Daniel Vitt, CEO, Dr. Hella Kohlhof, CSO, Dr. Manfred Gröppel, COO, Dr. Andreas Mühler, CMO, Immunic, Inc. (v.l.n.r.)

im Dialog: Herr Dr. Vitt, an welchen Medikamenten forscht die Immunic?
Dr. Vitt: Unsere Pipeline umfasst drei orale Wirkstoffe in der Entwicklung, für die kurzfristig wichtige Meilensteine erwartet werden. Das führende Produkt, IMU-838, befindet sich in zwei Phase-2-Studien zur Behandlung von Colitis Ulcerosa (eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung) und Multiple Sklerose (eine chronisch-entzündliche, nicht ansteckende Erkrankung des zentralen Nervensystems). Geplant sind zwei weitere Studien, um Therapien für Morbus Crohn und eine seltene Leberkrankheit namens PSC zu entwickeln, die wahrscheinlich vom eigenen Immunsystem ausgelöst wird. Diese Studie wird von der renommierten Mayo Clinic in den USA durchgeführt. Mit dem zweiten Programm, IMU-935, werden wir voraussichtlich im September 2019 mit einer Phase-1-Studie in Probanden und Patienten mit Schuppenflechte starten. Das dritte Programm, IMU-856, zielt auf die Wiederherstellung der Barrierefunktion des Darms ab, deren Beeinträchtigung maßgeblich an der Entstehung entzündlicher Darmerkrankungen, einschließlich Colitis Ulcerosa und Morbus Crohn, sowie an einem Erkrankungsrückfall beteiligt ist.

im Dialog: Was bedeutet der Options- und Lizenzvertrag mit Daiichi Sankyo für Immunic, den Sie Ende 2018 abgeschlossen haben?
Dr. Vitt: Im Rahmen dieser Kooperation sicherten wir uns die exklusiven weltweiten Rechte an dem vielversprechenden Medikamenten-Entwicklungsprogramm IMU-856. Dadurch konnten wir einen echten „Game Changer“ erwerben, der die Therapie z.B. von Morbus Crohn grundlegend verändern kann. Dieser neue Wirkstoff zielt auf ein bisher nicht beschriebenes therapeutisches Target, das einen vielversprechenden, völlig neuen Ansatz zur ursächlichen Behandlung von chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen ermöglicht. IMU-856 basiert nicht auf einer Immuntherapie, sondern blockiert durch die vollständige Wiederherstellung der natürlichen Barrierefunktion im Darm das Eindringen von schädlichen Bakterien und damit die Entstehung von Entzündungen im Darm. Bisher führen die meisten Medikamente durch die unbeabsichtigte Herunterregulierung des Immunsystems zu einem erhöhten Risiko von Nebenwirkungen wie Infektionen oder sogar einer möglichen Tumorentstehung. Deshalb gibt es einen enormen Bedarf an effektiven Therapien für CED, die eine langfristige Behandlung ermöglichen, dabei aber das Immunsystem möglichst intakt lassen. Die ersten Kontakte mit Daiichi Sankyo sind auf der BioJapan 2017 zustande gekommen und nach einem Jahr war der Deal abgeschlossen. Übrigens bedeutet die Zahlenkombination von IMU-856 in der japanischen Numerologie „Guter Darm für immer“.

Entwicklungspipeline der Immunic

Entwicklungspipeline der Immunic, Inc.

im Dialog: Warum hat Daiichi Sankyo gerade mit dem jungen Start-up Immunic diesen Vertrag geschlossen?
Dr. Vitt: Darauf sind wir natürlich sehr stolz. Dr. Takashi Fukuoka, CEO von Venture Science Laboratories bei Daiichi Sankyo, sieht die Immunic als einen Experten für den Bereich entzündlicher Darmerkrankungen und ist überzeugt, dass der Wirkstoff in den Händen des Immunic-Teams die besten Erfolgsaussichten hat.

im Dialog: Durch einen Merger mit Vital Therapies sind Sie seit April 2019 an der New Yorker Börse NASDAQ gelistet. Wie kam es dazu?
Dr. Vitt: Für die weitere Finanzierung der Entwicklung unserer Produkte gab es natürlich verschiedene Möglichkeiten. Die klassische Serie-B-Finanzierung mit Venture Capital wäre sehr gut möglich gewesen, allerdings ist der weitere Kapitalbedarf für mögliche künftige Phase-3-Studien in Deutschland in Folge nur sehr schwer zu realisieren. Wir hatten als Alternative auch überlegt, selbst über einen klassischen IPO an die NASDAQ zu gehen – dies hätte aber neben einer Zwischenfinanzierung auch auf der Zeitachse nicht unseren Anforderungen genügt. Über unser persönliches Netzwerk konnten wir dann aber mit Vital Therapies in Verhandlungen treten und uns gegen über 70 amerikanische und internationale Mitbewerber durchsetzen – aus unserer Sicht ein echter Ritterschlag. Hierbei kam natürlich neben unserem Phase-2-Produkt auch der Deal mit Daiichi Sankyo zum Tragen, der unsere Innovationskraft deutlich gestärkt hat. Durch die Fusion mit dem amerikanischen Unternehmen haben wir einen Börsengang „Back Door“ an der NASDAQ durchgeführt. Nach Abschluss der Transaktion halten die Aktionäre von Vital Therapies noch 11,75 Prozent der Anteile an der jetzt NASDAQ gelisteten ­Immunic, Inc.

im Dialog: Zeitgleich hat ein Investorenkonsortium 26,7 Millionen Euro in Immunic investiert. Welche Investoren gehören dazu?
Dr. Vitt: Zur Finanzierung der klinischen Entwicklungspipeline investierten die Venture Capital-Firmen LSP, Omega Funds, Fund+, LifeCare Partners, Bayern Kapital, High-Tech Gründerfonds und die IBG Beteiligungsgesellschaft Sachsen-Anhalt in die Immunic. Der Barmittelbestand der neuen Gesellschaft beläuft sich damit auf rund 42 Millionen Euro. Dies reicht aus, um die Entwicklungsaktivitäten bis in das dritte Quartal 2020 zu finanzieren und deckt alle geplanten Aktivitäten ab.

Darm

Immunics Produkte zielen neben anderen Medikamentenentwicklungen auf chronisch-entzündliche Darmerkrankungen ab

im Dialog: Welche Strategien sind für Sie als börsennotiertes Biotech-Unternehmen nun wichtig, um am Markt zu bestehen?
Dr. Vitt: Wichtig sind gute Produkte, genügend Kapital und ein gutes Management. Wenn man an der Börse überleben will, darf man auch nicht nur auf ein Produkt setzen. Es ist ein Spagat zwischen Fokussierung und erweiterter Produktpalette. Wir haben das frühzeitig adressiert, indem wir drei unabhängige Produkte entwickeln – ein sehr robustes Setup aus unserer Sicht.

im Dialog: Wer leitet das neue Unternehmen nach dem ­Börsengang?
Dr. Vitt: Das Immunic-Team hat vollständig die Leitung übernommen, ich selbst in der Rolle des CEO und Präsident des Unternehmens. Das neue Board of Directors besteht aus fünf Mitgliedern, von denen vier Mitglieder aus dem Aufsichtsrat und Management von Immunic stammen: Neben mir sind das Dr. Jörg Neermann, Dr. Vincent Ossipow und Jan Van den ­Bossche. Darüber hinaus ist Dr. Duane Nash, früher CEO, ­President und Director von Vital Therapies, ein weiteres Mitglied des Board of Directors – er fungiert auch als Chairman des Boards.

im Dialog: Wo wollen Sie in fünf Jahren stehen?
Dr. Vitt: Fünf Jahre sind eine sehr lange Zeit – ich möchte aber gerne unser erstes Produkt zugelassen auf dem Markt sehen. Außerdem sollten sich weiterhin drei Produkte oder mehr in der Entwicklung und zwei Studien in der Phase 2 befinden. Dann sind wir unserem eigentlichen Ziel, den Menschen wirksame Medikamente gegen chronische Entzündungs- und Autoimmunerkrankungen zur Verfügung zu stellen, einen großen Schritt näher gekommen.