Prof. Olivia Merkel entwickelt revolutionäre RNA-Transportsysteme

Höchste internationale Auszeichnungen für eine der jüngsten Professorinnen Deutschlands

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Forschungspräsentation von Prof. Oliva Merkel auf dem IZBrunch im September 2021 in Innovations- und Gründerzentrum Biotechnologie (IZB)

„Der Fokus unserer Forschung gilt der lokalen Verabreichung von Medikamenten, Genen, mRNA und siRNA mit Schwerpunkt auf der pulmonalen Verabreichung für Anwendungen in der Krebsimmunologie, bei Entzündungskrankheiten und Atemwegsviren.“

Prof. Olivia Merkel

Wenn man den Lebenslauf und vor allem alle Positionen, die sie bereits einnimmt, betrachtet, ist es schwer vorstellbar, dass Prof. Olivia Merkel ihre Karriere als eine der jüngsten Professorinnen Deutschlands begonnen hat.  Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf der Entwicklung von gezielten pulmonalen RNA-Transportsystemen, die bei Krebs, Infektionskrankheiten sowie entzündlichen Erkrankungen, wie auch in Zukunft bei COVID-19, eingesetzt werden. Derzeit wird ihre Forschung durch einen ERC-Grant, den Europäischen Forschungsrat, die Bayerische Forschungsstiftung, die Volkswagenstiftung, Daiichi-Sankyo Europe und AbbVie gefördert. Ihre Forschungsarbeit wurde bereits durch viele internationale Awards gewürdigt.

Prof. Dr. Olivia Merkel erhielt unter anderem den PHOENIX Pharmacy Award, der innovative und herausragende Arbeiten in der Pharmaforschung würdigt. Die Liste der Auszeichnungen ist lang: überreicht wurden ihr zum Beispiel der Prinzessin-Therese-von-Bayern-Preis, ein ERC Starting Grant, der Young Pharmaceutical Investigator Award der European Federation for Pharmaceutical Science, der Carl-Wilhelm-Scheele-Preis der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft (DPhG) und der Preis für die beste Doktorarbeit an der Philipps-Universität Marburg. Zudem erhielt sie eine Einladung zum Lindauer Nobelpreisträgertreffen. Sie war 2020 Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für kontrollierte Freisetzung (CRS) und ist Vorsitzende der CRS Focus Group Transdermal and Mucosal Delivery.

Nebenbei wurde sie Mutter und hat den Lockdown mit Kleinkind gemeistert. Allerdings war das nicht einfach. „In der Corona-Krise wurden wir Hochschullehrer vollkommen vergessen“, blickt Prof. Merkel zurück. Nur mit konsequenter Nachtarbeit hat sie diese Phase gemeistert und fühlte sich zum ersten Mal in ihrem Leben als Frau benachteiligt. Susanne Simon hat sie für die „IZB Biotech News“ zu ihrem Schaffenswerk interviewt.

Sie erhielten bereits mit 34 Jahren den Ruf an die LMU in München. Wie kam es dazu?
Eigentlich habe ich mir diese Stelle selbst geschaffen. Mit 29 Jahren startete ich bereits eine Tenure-Track Professur für Pharmazie an der Wayne State Universität in Detroit, USA, und konnte dort sechs Jahre forschen. Zudem hatte ich einen Lehrauftrag in der Onkologie an dieser Universität und bin weiterhin wissenschaftliches Mitglied des Molecular Therapeutics Program und Dozentin im Cancer Biology Graduate Program am Barbara Ann Karmanos Cancer Institute in Detroit.

2014 bewarb ich mich in Brüssel für den ERC Starting Grant zum Thema „Novel Asthma Therapy“, um mit einer Trockenpulver-Plattformtechnologien den gezielten pulmonalen siRNA-Transport zu aktivierten T-Zellen in der Lunge zu entwickeln. Tatsächlich erhielt ich mit dieser Zusage Forschungsgelder über zwei Millionen Euro und machte mich dann auf die Suche nach einer Universität. Eigentlich hatte ich einen Ruf an die Technische Universität in Graz. Dort war die Stelle allerdings befristet. So bewarb ich mich bei der École Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL). Sie hätten mich sehr gerne dort willkommen geheißen, doch die Schweiz hatte 2014 gegen das Massenimmigrationsgesetz gestimmt und bekam deshalb in diesem Jahr auch keine EU-Gelder zugewiesen.

Da stand ich dann mit meinem zwei Millionen Euro und recherchierte erneut. Meine Wahl fiel auf die Ludwig-Maximilians-Universität in München. Die Kolleg:innen dort haben sich sehr engagiert und eigens für mich eine Professur geschaffen, da ich formal nicht unter die ERC-Incentive Professuren fiel. Als Übergang entschied ich mich zuerst für eine halbe Stelle einer Vertretungsprofessur, auf die ich im Oktober 2016 allerdings dann auch berufen wurde. So pendelte ich von 2015 bis 2017 zwischen den Forschungslaboren in München und Detroit. Später folgten mir drei deutsche PJler aus Detroit als Doktoranden in mein Labor nach München.

Frau Prof. Merkel, was genau ist Ihr Forschungsgebiet?
Seit 2015 bin ich Professorin für Drug Delivery im Department Pharmazie an der LMU in München. Mein Team und ich konzentrieren uns auf neuartige, nicht-virale und zielgerichtete nanoskalige RNA-Transportsysteme. Unser besonderes Interesse gilt der lokalen Darreichung von Medikamenten, Genen, mRNA und siRNA mit einem Schwerpunkt auf der Verabreichung über die Lunge.

Diese Anwendungen werden in der Krebs-Immunotherapie, bei Infektions- und entzündlichen Erkrankungen eingesetzt. Seit der COVID-19-Krise sind auch wir verstärkt an der Entwicklung von therapeutischen und prophylaktischen Ansätzen gegen respiratorische Viruserkrankungen tätig. Denn auch COVID hat einen entzündlichen Ursprung.

Unser Ziel ist es auch, eine bessere Asthma-Therapie zu entwickeln, die die Ursache der Krankheit und nicht nur die Symptome bekämpfen. Darüber hinaus hat die Technologie auch große Bedeutung für T-Zell-Therapien in anderen Krankheitsbereichen.

Im Prinzip erstellen wir den „Bus“ für die Nukleinsäuren. Das heißt, wir erhalten die Medikamente und verpacken diese in eine wirksame Formulierung, die man als Tablette, Kapsel oder nun auch als Trockenpulver zur Inhalation oder Vernebelung (Nanopartikelsuspension) verabreichen kann. Der große Vorteil: die Stabilisierung ist sehr hoch. Denn das Pulver benötigt keine Kühlung, sondern kann bei Raumtemperatur gelagert werden. So verhindern wir eine chemische, physikalische und mikrobiologisch Instabilität.

Wie konnten Sie die Professur in Detroit trotz Ihrer Tätigkeit in München aufrechterhalten?
Ich hatte ein sehr gutes Team von fünf Doktoranden, die dort die Arbeit übernommen haben und sich in einem wöchentlichen Skype-Meeting regelmäßig mit mir austauschten. Die technische Ausstattung war hervorragend, denn wir hatten eine Kamera an der Decke, die den ganzen Raum erfasste. Unsere Group-Meetings fanden immer um 9.00 Uhr in USA und um 15.00 Uhr in München statt. Das hat sehr gut geklappt. Da ich bis zu meiner Spätschwangerschaft auch etwa einmal im Monat gependelt bin, konnte ich beide Gruppen auch gut persönlich weiterbetreuen.

Wie konnten Sie Ihr Kind und die Professur miteinander verbinden?
Zum Glück konnte ich meinen letzten Doktoranden in Detroit noch vier Tage vor der Geburt meines Sohns promovieren. Daher hatte ich danach nur noch ein Labor zu versorgen. Unsere familiäre Situation war zu der Zeit eher chaotisch, da mein Mann noch in Detroit war und sich dann in die Schweiz versetzen ließ. Wir sind zwischen November 2017 und Mai 2018 fünfmal umgezogen. In der Elternzeit habe ich hauptsächlich nachts gearbeitet. Durch die hervorragende Zusammenarbeit mit meinen zwei Gruppenleiterinnen damals, waren die Doktoranden aber stets bestens betreut.

Wie waren Ihre Erfahrungen während des Corona-Lockdowns ab März 2020?
Das war eine wirklich anstrengende Zeit und eine extreme Belastung für mich. Die Regierung hat die Hochschullehrer in dieser Zeit komplett vergessen. Ich hatte als in der Forschung arbeitende Apothekerin kein Anrecht auf eine Notbetreuung für unseren Sohn, obwohl ich schon im ersten Lockdown an drei COVID-Projekten gearbeitet und Zweites Staatsexamen in Pharmazie abgenommen habe, um die Versorgung mit Apothekern zu gewährleisten. Die Spezies Professorin und Mutter ist anscheinend immer noch sehr rar gesät, wodurch ich hier durch das Raster gefallen bin. Da ein zweijähriges Kleinkind sich nicht selbst betreut, habe ich hauptsächlich während seines Mittagsschlafes und nachts gearbeitet. In dieser Zeit habe ich zudem zur allgemeinen Lehrstuhltätigkeit umfangreiche Corona-Administration organisiert, meine Vorlesungen aufgezeichnet und zwölf Doktorand:innen betreut. Da letztere acht Wochen nicht ins Labor durften, kreierte ich Themen, die sie im Homeoffice ausführen konnten.

Vor dieser Krise habe ich mich als Frau nie benachteiligt gefühlt. Seitdem sehe ich das ein bisschen anderes. Meine männlichen Kollegen haben die Zeit genutzt, um Anträge zu stellen, Manuskripte zu finalisieren und die Kommunikation per Mail zu intensivieren. Da ist mir schon manchmal der Geduldsfaden gerissen. Erst im Juni konnte ich aufgrund meiner COVID-Forschung die Notbetreuung in der Kita nutzen. Insgesamt habe ich das Jahr 2020 größtenteils ausgeblendet, denn der Zeitdruck war enorm.

Sie sprechen fünf Sprachen. Haben Sie sich in der Schule gelangweilt?
Ja, das stimmt wirklich. Im Urlaub in der Türkei hat mir diese Sprache so gut gefallen, dass ich die Volkshochschule besuchte, um die Sprache zu lernen. Ich liebe es, mich mit Menschen in deren Sprache zu unterhalten. Da mein Mann Italiener ist, sprechen wir mit unserem Sohn italienisch, zu zweit unterhalten wir uns der Gewohnheit halber weiter auf Englisch, mit meinem Kind kommuniziere ich auf Deutsch, und in der französischen Schweiz, wo mein Mann die letzten Jahre gelebt hat, unterhalten wir uns auf Französisch. Ein Ober hat unseren Sohn einmal mitleidig angesehen und gefragt, ob er mit vier Sprachen aufwachsen muss. Für ihn ist das aber kein Problem, denn er hat im Kindergarten auch noch eine spanische Freundin.

Hat ihr Sohn Ihr fotografisches Gedächtnis vererbt bekommen?
Ich denke, er hat da tatsächlich was von mir geerbt. Mit 1 ½ Jahren hat er am liebsten stundenlang mit den Zahlen am Hotelsafe gespielt, wenn er auf Kongressen dabei war. Zudem kannte er alle Geschwindigkeitsbeschränken auf unseren Wegen auswendig und ist jetzt mit 4 Jahren ein Fan von Prozentrechnungen.

Welchen Rat würden Sie jungen Wissenschaftlerinnen geben?
Man sollte immer an sich glauben und sich niemals von Tiefschlägen entmutigen lassen. Wichtig ist es auch, sich Hilfe zu holen, um voran zu kommen. Ich bin sehr lange für meine Nanopartikel belächelt worden. Heute sind im Rahmen der Corona-Impfung alle mit diesen Molekülen geimpft. Eine Idee voranzutreiben, bringt Erfolg, auch wenn man immer wieder scheitert. Wichtig ist natürlich eine realistische Einschätzung. Wenn 99 Prozent der Menschen sagen, dass das Verfahren nicht klappen wird, sollte man es sich gut überlegen. Ist das Verhältnis aber 50/50, sollte man seine Ziele weiterverfolgen. Ein gutes Beispiel dafür ist Katalin Karikó, eine ungarische Biochemikerin, die selber auch lange in den USA gelebt hat. Der Schwerpunkt ihrer Forschung liegt auf der RNA-vermittelten Immunaktivierung. Gemeinsam mit dem amerikanischen Immunologen Drew Weissman entdeckte sie die Möglichkeit, durch Nukleosid-Modifikation die Immunogenität von RNA zu unterdrücken. Diese Technologie ermöglicht die therapeutische Nutzung von mRNA und bildete die Grundlage für die Entwicklung mRNA-basierter COVID-19-Impfstoffe (RNA-Impfstoff). Sie hat an sich geglaubt.

Was ist Ihr Ziel in den nächsten fünf Jahren?
Wir wollen mit Formulierungen, die auf unserer Technologie basieren, in den nächsten fünf Jahren eine klinische Studie starten. Zudem soll das Therapeutikum für andere Organe, nicht nur die Leber, zugänglich sein. Denn unser Ziel ist es, neue Administrationsrouten für den Körper zu nutzen.

Prof. Olivia Merkel erhielt am 9. Dezember 2020 den  PHOENIX Pharmaceutical Science Award, der innovative und herausragende Arbeiten in der Pharmaforschung würdigt und insgesamt mit 40.000 Euro dotiert ist.

Hier finden Sie das  Video zur Preisverleihung

Prof. Dr. Olivia Merkel, Department Pharmazie
Ludwig-Maximilians-Universität München
Butenandtstr. 5-13, Haus B
81377 München

Telefon: +49 89 2180 77025
E-Mail: ed.nehcneum-inu.puc@lekrem.aivilo
www.cup.lmu.de/pb/aks/merkel