Münchner Biotech-Juwel ­strebt an die Börse

SIRION Biotech bietet weltweit virale Vektor-Technologie für die Genforschung an

Das Martinsrieder Start-up SIRION Biotech ist einer von etwa fünf Spezialisten weltweit, der mit seiner Vektor-Technologie Pharmaunternehmen bei der Entwicklung modernster Medikamente unterstützt. Im Fokus stehen unter anderem Erkrankungen wie Parkinson, Alzheimer und ALS, bisher nicht heilbare neurodegenerative Erkrankungen des zentralen Nervensystems. Die Kernkompetenz des Unternehmens besteht darin, neue Vektoren und Verfahren zu entwickeln und zu verbessern, um effektivere und kostengünstige Gentherapien für Millionen von Menschen zu ermöglichen. Über Kooperationen mit dem US-Biotech-Unternehmen Denali Therapeutics, Acucela in Seattle/Tokio und Orchard Therapeutics in England wird SIRION an einem Milliardenmarkt mitwirken. Susanne Simon interviewte den Gründer und CEO Dr. Christian Thirion und den COO Dieter Lingelbach zur strategischen Ausrichtung des mit zwölf Jahren noch jungen Biotech-Unternehmens.

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Dr. Christian Thirion, Dieter Lingelbach, Managing Directors, SIRION Biotech GmbH (v.l.n.r.)

im Dialog: Herr Dr. Thirion, für welche Krankheiten bietet die Gentechnik Heilungschancen?
Dr. Thirion: Derzeit gibt es ungefähr 8.000 monogenetische Erbkrankheiten und mehrere 100 klinische Studien hierzu. Die prominentesten Krankheiten sind genetisch bedingte Erblindungen (Retinitis Pigmentosa), Hämophilie (Bluterkrankheit), SMA und beispielsweise Alzheimer, Parkinson, Stoffwechselerkrankungen, neuromuskuläre Erkrankungen oder Muskelschwund. Zum Teil sind diese Krankheiten angeboren oder entstehen durch spontane Mutationen.

im Dialog: Wie muss man sich die virale Vektor-Technologie in der Praxis vorstellen?
Dr. Thirion: Gendefekte, die für die jeweiligen Krankheiten verantwortlich sind, werden „geheilt“. Dies erfolgt dadurch, dass man den genetischen Bauplan für ein fehlendes Protein in die Zelle einbringt oder man einen Schaden am Gen korrigiert. Die kooperierenden Pharmaunternehmen arbeiten am Medikament und den damit verbundenen klinischen Prüfungen. SIRION entwickelt und produziert den „Shuttle“ dazu. Das heißt, wir sorgen dafür, dass die genetische Information, das „therapeutische Konstrukt“, auf sicherem und effizientestem Weg in die Zielzelle im Patienten gelangt. Am Ende ist es das erklärte Ziel einer solchen Therapie, durch einmalige Behandlung einen therapeutischen Langzeiteffekt zu erzielen.

im Dialog: Wie muss man sich diesen „Gen-Shuttle“ im Detail vorstellen?
Dr. Thirion: Wir arbeiten im gentherapeutischen Bereich vor allem mit Adeno-assoziierten Viren (AAV) und Lentiviralen Vektoren. Wir verwenden jedoch nur die Virenhülle, das sogenannte Kapsid. Die originale Virus-Geninformation wird eliminiert und mit einer therapeutischen Information ersetzt, mit der man anstrebt, die Krankheit zu therapieren. Die Außenhülle des AAV kann mithilfe einer bestimmten Technik beliebig stark abgewandelt werden und anschließend unter dem Prinzip der „künstlichen Evolution“ so selektiert werden, dass der Transport in das zu therapierende Gewebe stark optimiert wird. Die künstliche Evolution von Vektoren führen wir zusammen mit unserem langjährigen Kooperationspartner Prof. Grimm vom Uniklinikum Heidelberg an AAV-Vektoren durch, mit deren Hilfe genetische Informationen bis zu 10.000-mal effizienter in definierte Zielzellen gebracht werden kann als mit herkömmlichen Vektoren. Zum anderen arbeiten wir daran, die Effizienz von Lentiviren nachhaltig zu verbessern. Beliebtes Einsatzgebiet dieser Vektoren ist die Immuntherapie. Mithilfe lentiviral modifizierter CAR- oder TCR-T-Zellen versucht man Immunzellen mit künstlichen Rezeptoren auszustatten, welche an Tumorzellen andocken und eine Immun­antwort dagegen aktiviert werden kann. Hohe Therapiekosten in diesem Bereich sind eine sehr große Herausforderung. Hintergrund sind v. a. aufwendige Produktions­prozesse für die genetisch modifizierten Zellen. Unsere LentiBOOST®-Technologie verspricht substanzielle Fortschritte durch Materialeinsparungen und Effizienzsteigerung und damit verbundene Produktionskostensenkungen für den Einsatz von viralen Vektoren um den Faktor fünf bis zehn.

„In Martinsried bei München werden wir die Räumlichkeiten in der Nähe des IZB verdreifachen und suchen derzeit geeignete Räumlichkeiten. “

Dr. Christian Thirion, CEO, SIRION Biotech GmbH

im Dialog: Welche Mitbewerber gibt es auf dem Markt?
Dr. Thirion: Weltweit git es nur eine Handvoll Unternehmen, die sich wie SIRION spezifisch auf Vektortechnologien fokussieren. Darin sehen wir einen strategischen Vorteil. SIRION hat sich nicht durch klinische Studien ablenken lassen, sondern vollkommen auf die Entwicklung neuer, qualitativ hochwertiger viraler Vektoren gesetzt.

im Dialog: Mit welchen Kooperationspartnern arbeiten Sie?
Dr. Thirion: Wichtig ist das National Institute of Health in den USA sowie Orchard Therapeutics in London, Denali Therapeutics in San Francisco und Acucela in Seattle und Tokio. In der Summe werden unsere Technologien in mittlerweile zwölf klinischen Studien eingesetzt. Hervorzuheben ist die Zusammenarbeit mit dem US-Unternehmen Denali Therapeutics, auf die wir uns Ende 2018 verständigten. Wenn wir unsere Milestones erreichen, würden davon Millionen von Parkinson-, Alzheimer- und ALS-Patienten profitieren. Hinzu kommen weitere Kollaborationen, die allerdings vertraulich sind.

im Dialog: Wie sieht Ihr derzeitiges Geschäftsmodell aus?
Dr. Thirion: Dreigeteilt: Traditionell liefern wir seit 2007 in wenigen Wochen virale Vektoren für Forschungszwecke, das heißt für nicht humane klinische Prüfungen. Seit 2015 gehen wir Entwicklungskollaborationen ein, bei denen der Partner sein Wissen um die Krankheitsentstehung einbringt, SIRION ihre Vektorkompetenz. Seit 2016 vergeben wir Technologie-Lizenzen für humane klinische Anwendungen, der Königsdisziplin in der Arzneimittelentwicklung. Mit neuen Finanzierungsmitteln in zweistelliger Millionenhöhe plant SIRION den Einstieg in eigene präklinische Entwicklungen. Für 2019 strebt SIRION einen Umsatz von zehn Millionen Euro an. Durch das Partizipieren an klinischen und kommerziellen Erfolgen erwartet SIRION signifikante Steigerungen der Einnahmen in den kommenden zehn Jahren.

im Dialog: Sie haben nun Büros in Paris und Boston. Wie sieht die weitere geografische Entwicklung aus?
Dr. Thirion: Japan als zweitgrößter Pharmamarkt ist wichtig. Asien ebenso. Auch Korea und Israel sind in Planung. In Martinsried bei München werden wir die Räumlichkeiten in der Nähe des IZB verdreifachen und suchen derzeit geeignete Räumlichkeiten. Bedauerlicherweise sind Flächen rar und behindern derzeit unser Wachstum. Wir würden uns hier politische Unterstützung wünschen, die Flächenerschließung und Neubauprojekte in der Umgebung Martinsried-­Neuried ­unterstützen.

„Weltweit git es nur eine Handvoll Unternehmen, die sich wie SIRION spezifisch auf Vektortechnologien fokussieren.“

Dr. Christian Thirion, CEO, SIRION Biotech GmbH

im Dialog: Wie werden Sie den Ausbau des Unternehmens finanzieren?
Dr. Thirion: Unsere Wachstumsstrategie erfordert 20 bis ­
30 Millionen Euro, deshalb wäre ein Börsengang eine Alternative der Geldbeschaffung. Mit einem US-Investor sind wir bereits in konkreten Verhandlungen zur Vorbereitung eines solchen. Im Umfeld des Euronext TechShare-Programms für junge Tech-Unternehmen erfuhren wir von über zehn Investoren positives und motivierendes Feedback. Offensichtlich traut man dem Unternehmen eine Entwicklung von „small“- auf „mid cap“ zu.

im Dialog: Sind Start-ups, die in der Gentherapie aktiv sind, gute Übernahmekandidaten für die Pharmaindustrie?
Dr. Thirion: Das hat sich in der Vergangenheit bereits gezeigt. Novartis erwarb 2018 das US-Unternehmen Avexis für 8,7 Milliarden US-Dollar. Roche stieg im Februar 2019 mit einer 4,3 Milliarden Dollar schweren Übernahme in das Rennen, um die Entwicklung einer Gentherapie gegen die Bluterkrankheit aufzusetzen. Der Schweizer Pharmakonzern kaufte das US-Unternehmen Spark Therapeutics, das eine Gentherapie unter anderem gegen Erblindung entwickelt.

im Dialog: Sie sind für mich ein klassischer Übernahmekandidat. Wie denken Sie über eine mögliche direkte Übernahme?
Dr. Thirion: Klassisches Modell der Frühphasen-Finanzierer ist der direkte Verkauf des Unternehmens an einen strategischen Investor, aus dem In- oder Ausland. Unseres Erachtens sollte verstärkt Wert darauf gelegt werden, in der Region ­wertvolle mittelständische Unternehmen zu schaffen und ­
zu halten.