Vom Visionär zum Marktführer für virale Vektoren

SIRION Biotech setzt weltweit neue Maßstäbe bei der Entwicklung von Impfstoffen und innovativen Zell- und Gentherapien.

Dr. Christian Thirion hat SIRION Biotech gegründet. Mit einem innovativen Verfahren wollte der promovierte Biochemiker, der am Genzentrum in München promovierte, neue Maßstäbe in der Medizin setzen. Heute ist seine Vektortechnologie keine Exotik mehr. Sondern ein erfolgreiches Geschäft, das inzwischen vom internationalen Konzern PerkinElmer übernommen wurde. SIRIONs Angebot besteht im Vektordesign und Vektor-Engineering. Die Schwerpunkte der heutigen Arbeit sind die Entwicklung solcher Vektoren für vektorbasierte Impfstoffe und sogenannten Genfähren für die Behandlung von Krankheiten mit genetischen Ursachen. Ein Interview über Anfänge am Münchner Innovations- und Gründerzentrum Biotechnologie (IZB) und den unerschütterlichen Glauben an den Erfolg.

Interview mit Dr. Christian Thirion, CEO und Dieter Lingelbach, COO

„Es war Zeit für das Unternehmen, nach der Präsenz in Paris, Boston und Heidelberg weiter international zu wachsen und unserer Firma ein eigenes Gesicht zu geben.“

Dr. Christian Thirion
CEO SIRION BiotechH

Herr Dr. Thirion, seit 2006 war das IZB Ihre berufliche Heimat. Seit kurzem gehen Sie neue Wege. Ist der Trennungsschmerz groß?
Das IZB ist die Geburtsstätte der Firma. Wir haben dort frisch von der Universität mit zwei Mitarbeitern und wenig Kapital unsere ersten Schritte als Unternehmer gewagt. Die SIRION Biotech ist eine Ausgründung der Universität Ulm, Institut für Gentherapie, und des Genzentrums der Ludwig-Maximilians-Universität. Durch organisches Wachstum und finanzielle Unterstützung von Privatinvestoren wie staatlicher Stellen konnten wir immer mehr Mitarbeiter einstellen und haben uns so von einem typischen Start-up zu einem mittelständischen Unternehmen entwickelt. Ein bisschen Nostalgie schwingt sicher mit, wenn ich an all die Erlebnisse am IZB denke: Das IZB schafft eine Umgebung, in der man gemeinsam seine großen, visionären Gedanken verfolgen kann.

Wie erklären Sie Ihrem zwölfjährigen Sohn, woran Sie arbeiten?
Wir arbeiten mit Genfähren. Viele der Krankheiten heute haben eine genetische Ursache. Das heißt, dass unser Erbgut entweder durch Alterung oder von Geburt an Fehler akkumuliert. Die Technologie, die wir entwickeln, ermöglicht einen Transfer von genetischer Information in Zellen. Mittels der Genfähre können genetische Informationen oder sogar Reparaturen am Genom vorgenommen werden, die dann Fehler wieder korrigieren oder die Auswirkungen dieser Fehler behandeln. Unsere Genfähren erreichen auf den Punkt genau ihr Ziel. Wenn wir einen Transfer von einer therapeutischen Information in die Leber brauchen oder in die Niere, dann entwickelt die Firma SIRION genau diese passgenauen Transfervehikel

Das klingt nach einer unternehmerischen Punktlandung. Mit dem IZB sind Sie aber auch durch stürmische Zeiten gegangen.
Genau. Das IZB ist eine Zeit des Aufbaus für uns gewesen. Und wir waren damals der Zeit mit unserer Forschung weit voraus. Als einziges Biotech Start-up am Standort stellten wir für präklinische Studien Virusvektoren her. So hatten wir große Ideen und eine Technologie mit riesigem Potenzial. Aber die Nachfrage war noch nicht da. Unsere Geldgeber mussten wir dennoch überzeugen. Natürlich gab es viele schlaflose Nächte. Krisenzeiten gehören aber zum Start-up dazu. Das IZB gibt auch gerade dann ein Forum zum Interagieren: Austausch mit Investoren oder politischen Entscheidungsträgern. Das war für uns wichtig und hilfreich.

Mit der kürzlichen Übernahme durch PerkinElmer sind Sie jetzt Teil eines internationalen Life-Science-Konzerns.
Das stimmt, wir sind flügge geworden. Es war Zeit für das Unternehmen, nach der Präsenz in Paris, Boston und Heidelberg weiter international zu wachsen und unserer Firma ein eigenes Gesicht zu geben. Die Arbeit mit PerkinElmer ist Neuland für uns. Wir lernen gerade erst die Strukturen und Personen kennen. Und wir haben jetzt ganz andere Möglichkeiten. SIRION ist durch die Übernahme in mehr als 100 Ländern vertreten. Wenn ein Produkt vermarktet wird, kommen wir aufgrund der Vertriebs- und Marketing-Power in den Genuss von Zahleneffekten, die wir so bislang nicht kannten und die in Folge noch größere Forschungsanstrengungen finanzieren.

Aber die Start-up-Atmosphäre haben Sie genossen. Wollen Sie sich das künftig erhalten?
Auf jeden Fall. PerkinElmer erwartet von uns weiterhin Impulse, und das ist auch unser Selbstverständnis als Firma. Zell- und Gentherapien sind für fast alle Firmen neu und wir versuchen, eine möglichst marktnahe Sicht von dem, was in Zukunft benötigt wird, und was auch ein größerer Konzern entwickeln könnte, zu erfüllen. Wir wollen mit den im Konzern zur Verfügung stehenden Ressourcen Produktserien für neuartige Zell- und Gentherapieprodukte aufbauen. Wir wissen, wie man Gentransfer-Vehikel entwickelt. PerkinElmer ist stark in Geräten und in der Analytik. Deren Geräteplattform können wir einsetzen, um die von uns hergestellten Partikel und die viralen Vektoren besser zu charakterisieren. Genauso entsteht dann der Flow der Innovationen in den Konzern hinein.

Adenovirale Vektoren (künstlerische Darstellung) können eine starke, transiente Expression eines therapeutischen Transgens in Patientenzellen bewerkstelligen. SIRION’s AV Plattformen werden gezielt in der immun-onkologischen Forschung und Entwicklung neuartiger Impfansätze eingesetzt.

Sie interessieren sich schon seit 2015 für den US-Markt.
Ja, denn die Investitionsaktivitäten in den USA waren in der Zell- und Gentherapie von Anfang an sehr groß. Schon früh wurden wir als Unternehmen in den USA ernst genommen. Diese Rückmeldungen haben uns gestärkt und wir konnten sie nutzen, um unseren Gesellschaftern eine überzeugende Zukunftsperspektive zu geben. Heute haben wir über 50 Mitarbeiter in Deutschland, Frankreich und den USA und planen, in den USA einen eigenen Standort aufzubauen. Obwohl die Kundenanzahl dort noch überschaubar ist, verbuchen wir die Hälfte unseres Umsatzes in den USA.

Welche Gründungsgesellschafter konnten Sie überzeugen?
Als erstes konnten wir die Investoren Creathor Venture, HTGF, Bayernkapital und KfW überzeugen. 2013 erweiterten wir dann unseren Investorenkreis um zwei Beteiligungsgesellschaften, u. a. die Aumenta GmbH. Wir arbeiten derzeit an 300 Einzelprojekten und mit weit über 300 forschenden Partnern zusammen. Da wir uns seit 2017 auf den Börsengang vorbereiteten, zogen wir das Interesse von Wachstumsinvestoren auf uns. Nach Verhandlungen mit über 70 interessierten Unternehmen entschieden wir uns gegen den IPO und für das Angebot von PerkinElmer. Im Februar 2021 hatten wir den ersten Kontakt, im Juni 2021 verkauften wir das Unternehmen – und das nur über Video-Calls in Zeiten der Corona-Pandemie.

An welche Meilensteine aus der Zeit am IZB werden Sie sich gerne erinnern?
2007 haben wir zum ersten Mal Geld von einem Kunden für unsere Arbeit erhalten. Ein Meilenstein war auch der Abschluss einer großen Finanzierungsrunde im Jahr 2011. Und 2012 wurden wir auf einen Zukunftskongress nach Boston eingeladen. Dort konnten wir uns neben Nobelpreisträgern und MIT-Größen wie Professor James J. Collins präsentieren. Plötzlich war es möglich, unsere Vision von Gentherapie mit den Botschaftern der wichtigsten Venture Capital-Firmen der Welt zu teilen. 2012 waren Gentherapien noch in keiner Weise Realität. Es war etwas sehr Exotisches.

Und ab wann hatten Sie das Gefühl, SIRION wird etwas ganz Großes?
Das war 2015. Wir konnten in einem Monat eine Technologielizenz und separat einen Kooperationsvertrag mit einem Pharmaunternehmen für eine de novo Produktentwicklung abschließen, was extrem selten ist. Dabei schien es noch zwei Monate zuvor, als sei das Unternehmen am Ende. So ist das im Start-up Bereich: Freud und Leid liegen sehr eng beieinander. Heute haben wir fünf große Entwicklungskooperationen und insgesamt etwas mehr als 20 Lizenzverträge. Im internationalen Vergleich mit ähnlichen Anbietern für die Zell- und Gentherapie ist SIRION aktuell gemessen an den Vertragsabschlüssen unter den Top 3.

Was hat sie gerade in den schweren Zeiten motiviert?
Wir mussten uns nicht motivieren. Für uns war es immer nur eine Frage der Zeit, dass diese Technologien in die klinische Entwicklung kommen. Und diese Sicherheit hatten wir durch die Interaktion mit den Kunden, mit den Biotech- und Pharmafirmen. Über die Jahre wurde anhand der Auftragsinhalte immer sichtbarer, dass sich alles auf eine klinische Entwicklung fokussiert. Und deswegen bestand für unser Management und Selbstverständnis nie eine wirkliche Sorge, dass die grundlegenden Technologien oder Annahmen falsch seien.

Viele zelltherapeutische Ansätze basieren auf der Wirkweise lentiviraler Vektoren (künstlerische Darstellung). Die Entwicklung optimaler Transduktionsstrategien ist ein wichtiger Fokus von SIRION’s Technologieplattformen, mit dem Bestreben die Kommerzialisierung neuer Therapien sicherer und kostengerechter zu gestalten.

Was unterscheidet SIRION von anderen Anbietern?
Wir bewegen uns in einem Gebiet, das unglaublich schnelle Technologie-Entwicklungszyklen hat. SIRION hat durch eine Vielzahl internationaler, auch akademischer Kooperationen eine Methode entwickelt, diese Technologien sehr schnell weiterzuentwickeln. Dadurch bleiben wir international führend. Zugleich sind wir bodenständig. Das Material, das wir herstellen, hat eine Qualität, die weltweit führend ist. Wir achten auf sehr viele Parameter. Dadurch können wir die Qualität und die Wirksamkeit sehr viel besser kontrollieren und verbessern. So ermöglichen wir unseren Kunden zuverlässigere Ergebnisse bei ihren präklinischen Forschungen. Die spezielle Mischung aus Innovationsstrategie, das Unternehmen technologisch weiterzuentwickeln und dabei das bodenständige Handwerk: diese Kombination führt dazu, dass wir sind, was wir sind.

Welche Visionen haben Sie? Was wollen Sie in den nächsten Jahren noch erreichen?
Die Art, wie wir in Zukunft Krankheiten behandeln, wird sich grundlegend ändern. Es ist zunehmend möglich, dass man Organe selektiv und für sich genommen therapiert. Das bedeutet, die Technologien, die wir jetzt entwickeln, ermöglichen eine sehr viel präzisere Medizin. Durch die Entwicklung von Gentransfer-Vehikeln, die nicht nur viralen Ursprungs sein müssen, kann man letztlich sehr zielgerichtet und mit deutlich weniger Nebenwirkungen ein bestimmtes Organ behandeln oder einen bestimmten Zelltyp. Das ist eine Zukunftsvision, die Nebenwirkungen reduziert und die gerade die Ursachen von Krankheiten behandelt oder sogar kuriert, indem sie die zugrundeliegenden Gendefekte korrigiert und behandelt. Das kann Menschen retten, die schon austherapiert waren. Wir sind derzeit an mehr als 25 klinischen Studien beteiligt, in denen unsere Technologie und unsere viralen Vektoren eingesetzt werden. Wir erwarten, dass einige unserer Kooperationspartner ihre Therapien in den nächsten zwei Jahren zur Marktzulassung bringen. Eines der Unternehmen hat bereits seine Therapie für Europa bewilligt bekommen, in den USA steht man kurz vor der Marktzulassung.

Und was sind Ihre konkreten Ziele für 2022?
Wir wollen auf 65 Mitarbeiter anwachsen und den Umsatz verdoppeln. 2012 war es noch visionär, was wir gemacht haben. Aber 2022 gibt es bereits hunderte von klinischen Studien basierend auf viralen Vektoren. Zum Jahresende soll ein Labor in den USA in Betrieb gehen; mittelfristig ist es sicher sinnvoll, auch in Asien einen Standort aufzubauen.

Was können Sie anderen Start-ups mit auf den Weg geben, die noch am Anfang stehen?
Es ist wichtig, früh ein professionelles Sales & Marketing und Business Development-Team aufzubauen. Investoren rate ich, das Management früh zu etablieren. Es gibt eine Korrelation zwischen Reifegrad der Firma und Wertigkeit im Markt. Früher haben wir einen viralen Vektor für einen Bruchteil der Einnahmen entwickelt, die wir heute dafür veranschlagen. Das passiert, wenn man den Markt nicht versteht. Die Einnahmen, die ein Biotech-Unternehmen erzielt, hängen natürlich davon ab, wie gut eine innovative Technologie ist und ob sie im Markt Anwendungen findet und Fortschritte bewirkt. Wichtig ist allerdings auch, wie man als Management professionell die Projekte im Außenverhältnis abbildet und wie gut man verhandelt.

Machen Sie heute das, was Sie in Ihrem beruflichen Leben erreichen wollten?
Ja, wir forschen bei SIRION mehr als ich an der Universität jemals hätte realisieren können. Und zudem wirken die internationalen Kooperationen wie ein Booster für unsere Technologie.

Christian Thirion

Dr. Christian Thirion, CEO SIRION Biotech