In fünf Jahren werden mit dem 3D-Biodrucker menschliche Organe hergestellt
Dieses Ziel wird mit dem Zusammenführen transformativer Technologien erreicht
Dezember 2018
© Institut für Schlaganfall und Demenz (ISD)
Klinikum der Universität München (KUM)
Dr. Ali Ertürk, Gruppenleiter am Institut für Schlaganfall und Demenz (ISD) der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München, hat eine neue Technologie zur Bildgebung von einzelnen Zellen und Molekülen im intakten Körper entwickelt. Diese Technologie kann der Schlüssel für die Kombination von Nanotechnologie und Künstlicher Intelligenz zur Beschleunigung der biomedizinischen Forschung sein.
Die Heilung von schweren Krankheiten bleibt eine der größten Herausforderungen der Wissenschaft. Dr. Ali Ertürk hat die Vision, Nanotechnologie, Gentechnik und Künstliche Intelligenz zu kombinieren, um verheerende Krankheiten wie Demenz, Schlaganfall, Diabetes und Krebs noch zu unseren Lebzeiten heilen zu können. Er hat eine neuartige histologie-basierte 3D-Technologie, die „DISCO-Transparenz“ heißt, patentieren lassen. Mit dieser Technologie sind unkomplizierte und schnelle 3D-Analysen des gesamten Körpers möglich, die ansonsten viele Jahre Arbeit erfordern würden. Susanne Simon hat Dr. Ali Ertürk für das Magazin “IZB im Dialog” interviewt.
im Dialog: Wie sehen Ihre Visionen in Ihrem Forschungsgebiet aus?
Dr. Ertürk: Wir stehen an einem Wendepunkt in der Geschichte: Durch die Kombination von Künstlicher Intelligenz, Nanotechnologie und biomedizinischer Forschung streben wir das Ziel an, in den nächsten 25 Jahren alle Krankheiten heilen zu können. Obwohl die Möglichkeiten dieses multidisziplinären Ansatzes durch viele Wissenschaftler und Intellektuelle, wie Yuval Noah Harari in seinem Buch „Homo Deus”, anerkannt wurden, war weitgehend unklar, wie diese erfolgreich kombiniert werden können. In meinem Labor steht die Überwindung dieser Hürde im Fokus: Wir haben eine Technologie entwickelt, um eine nanotechnologie-basierte Arzneimittelentwicklung mit Künstlicher Intelligenz zur Behandlung von schweren Krankheiten kombinieren zu können.
im Dialog: Können Sie uns im Detail mehr über Ihre Technologie verraten?
Dr. Ertürk: Über viele Jahrzehnte wurden Krankheiten mit Hilfe dünner Schnitte unter dem Mikroskop diagnostiziert und erforscht. Es ist jedoch erwiesen, dass durch Ansehen eines kleinen Stücks von einem Organ mit großer Wahrscheinlichkeit wichtige Informationen über diese Krankheiten übersehen und die Entwicklung wirksamer Therapien blockiert werden. Unsere Technologien lösen dieses Problem: Wir können jetzt das gesamte kranke Organ schnell analysieren. Das erreichen wir, indem wir sie transparent machen, so wie bei der Verwandlung von Milch in Wasser. Dadurch können wir durch die gesamte Probe hindurchsehen und interne Anomalien erkennen.
im Dialog: Mit dieser Technologie kann viel erreicht werden. Was ist Ihr Hauptziel?
Dr. Ertürk: Mein Ziel ist es, in naher Zukunft transplantierbare 3D-biogedruckte menschliche Organe zu generieren. Wir befinden uns mit einem wunderbaren Team auf einer spannenden Reise.
im Dialog: Sie arbeiten auch an der Entwicklung von menschlichen Organen für die Transplantation. Wie weit sind Sie damit?
Dr. Ertürk: Unsere Technologie ermöglicht die Erzeugung von höchstauflösenden „Entwürfen“ menschlicher Organe, bis hinunter zu subzellulären Einzelheiten, die einen wichtigen Engpass beim 3D-Biodrucken darstellen. Zu diesem Zeitpunkt liegt unser Schwerpunkt bei der Erzeugung menschlicher Nieren, die unter den Organen am dringendsten benötigt werden. Wir kennen die gesamte Funktion einer Niere, da wir sie mit einem Dialysegerät ersetzen können. Mit Hilfe unserer Technologie können wir jetzt eine genaue Karte der menschlichen Nieren herstellen. Wir werden außerdem in den nächsten Jahren beginnen, 3D-biogedruckte transplantierbare Nieren zu produzieren. Das kann ein enormer wissenschaftlicher Sprung sein, der Millionen Leben auf der ganzen Welt retten kann.
im Dialog: Wie setzen Sie Ihre Technologie bei der Untersuchung von Schlaganfall und Demenz ein?
Dr. Ertürk: Wir sind von Kopf bis Fuß mit Neuronen „verdrahtet“. Daher beeinflussen die meisten neurologischen Krankheiten tatsächlich den ganzen Körper. Bis heute konzentrierten sich Hirnforscher ausschließlich auf die beschädigte Gehirnregion. Durch Einsatz unserer Transparenz-Technologie können wir jetzt das Gesamtbild studieren, nämlich, wie eine Schlaganfallläsion oder die Alzheimer-Erkrankung die Neuronen körperweit beeinflussen. Dieser Ansatz hilft uns in der Tat, unbekannte Kanäle zwischen Schädel und Gehirn, die Zellen und Moleküle transportieren, zu entdecken.
im Dialog: Wie machen Sie die Organismen transparent?
Dr. Ertürk: Säugetiergewebe ist lichtundurchlässig, da innerhalb unserer Organe unterschiedliche Brechungsindizes bestehen. Das Licht, das durch die Gewebe wandert, stößt alle paar Nanometer auf einen unterschiedlichen T-Bestandteil (Wasser, Lipid (Fett), Zucker, Protein usw.), was schnell zur Lichtbrechung führt. Unsere Technologie löst dieses Problem durch die Vereinigung sämtlicher Brechungsindizes, wodurch das Gewebe vollständig transparent wird.
im Dialog: Wie führt Ihre Technologie, im Vergleich zu Standardmethoden, zu einer überlegenen Visualisierung von Tumormetastasen und Drug-Targeting im Körper?
Dr. Ertürk: Krebspatienten sterben üblicherweise an den Metastasen einzelner Krebszellen, nicht am großen Primärtumor. Die Visualisierung und Elimination einer jeden einzelnen Krebszelle ist daher wichtig. Standardmethoden wie MRT und CT können nur große Tumore entdecken, im Gegensatz zu unserer Methode, mit der jede einzelne Krebszelle entdeckt werden kann. Wir haben in der Tat festgestellt, dass zwei Drittel der Krebsmetastasen mit anderen Methoden übersehen werden. Das bedeutet, dass Unternehmen wie Roche die Qualität ihrer neu entwickelten Arzneimittelkandidaten gegen Krebs nur anhand eines Drittels aller Krebsmetastasen beurteilen. Natürlich versagen diese Arzneimittelkandidaten in den meisten Fällen. Wir haben auch entdeckt, dass antikörperbasierte Krebsbehandlungen ganze 30 Prozent der Tumore verpassen können. Wenn beispielsweise ein großes Pharmaunternehmen ein solches Arzneimittel gegen Krebs entwickelt, dann sollte das Team wieder ins Labor zurückgeschickt werden, um sicher zu stellen, dass der Arzneimittelantikörper alle Zielmoleküle erreicht.
© Institut für Schlaganfall und Demenz (ISD)
Klinikum der Universität München (KUM)
Darstellung eines 3D-Biodruckers für menschliche Organe
im Dialog: Die Technik wurde bisher nur an Mäusen und Ratten ausprobiert. Wann kann sie an Menschen eingesetzt werden?
Dr. Ertürk: Ja, wir setzen unsere Technologie bereits jetzt auch bei biopsiertem Gewebe und post mortem-Gewebe des Menschen ein, um ein tieferes Verständnis von Krankheiten zu erlangen. Wir können beispielsweise ein genaueres Staging von Krebskrankheiten durchführen und bessere Behandlungsoptionen entwerfen. Wir setzen unsere Technologien auch ein, um die Geheimnisse des menschlichen Gehirns zu verstehen. Weltweite Mapping-Projekte des menschlichen Gehirns haben bisher nur wenige oder keine eindeutigen Ergebnisse erbracht. In einem laufenden Projekt wurde das gesamte menschliche Gehirn transparent gemacht, wodurch zum ersten Mal das Mapping einzelner, intakter, menschlicher Gehirnzellen ermöglicht wurde.
im Dialog: Können Sie bitte erklären, wie Sie zusammen mit Prof. Björn Menze (Technische Universität München [TUM]) Künstliche Intelligenz einsetzen, um die Wissenschaft zu beschleunigen?
Dr. Ertürk: Künstliche Intelligenz wird die biomedizinische Forschung drastisch beschleunigen. Unsere Technologien generieren das Tausendfache der Daten, die mit Standardtechnologien erzeugt werden. Diese enorme Datenmenge kann vom Menschen nicht analysiert werden. Wir haben uns daher mit der Menze-Gruppe zusammengetan, einer der weltweiten Spitzenexperten im Bereich der Künstlichen Intelligenz, um diese mit biomedizinischer Forschung zu kombinieren. Diese Partnerschaften werden bereits im Silicon Valley mit Unternehmen wie Google und Facebook geschlossen, die in Biotechnologie investieren. Ich freue mich, dass wir zusammen mit meinem Kollegen Björn Menze Künstliche Intelligenz bereits an der vaskulären Struktur des Gehirns und an Krebsmetastasen einsetzen konnten.
im Dialog: Mit dieser Technologie können weltweit alle Arzneimittel gegen Krebs optimiert werden. Möchten Sie Ihre Technologie an ein Pharmaunternehmen verkaufen oder Ihr eigenes Biotechnologie-Unternehmen starten?
Dr. Ertürk: Obwohl die Zukunft der Biomedizin eindeutig von innovativen Technologien abhängig ist, wäre es für die bestehenden Pharamunternehmen sehr schwer, diese zu übernehmen. Sie können das gleiche Szenario zwischen Tesla und anderen Unternehmen wie BMW beobachten. Tesla begann mit einer klaren Vision, 100 Prozent Elektroautos zu produzieren. Obwohl sie ihre Patente zur Verfügung stellten, schien keiner der riesigen Autokonzerne auf Tesla abzufahren. Das kommt daher, weil es sehr schwer ist, bestehende Anlagen, Regeln und, was am schwersten ist, die Geisteshaltung zu ändern. Mein oberstes Ziel ist es daher, ein Biotech-Unternehmen im Münchner Raum zu gründen, das die Vision einer Kombination von Künstlicher Intelligenz mit Nanotechnologie zur Beschleunigung biomedizinischer Entdeckungen verfolgt. Ich glaube, dass ein solches Unternehmen bald reale Lösungen zur Behandlung tödlicher Krankheiten entwickeln könnte.
im Dialog: Ihre Vision klingt wie Science Fiction. Sie arbeiten mit Prof. Hendrik Dietz (TUM) zusammen, um Nanoroboter zur Heilung der Alzheimer- und Schlaganfall-Erkrankung zu entwickeln. Wie funktioniert das?
Dr. Ertürk: Die Wirkstoffabgabe ins Gehirn ist wegen einer dichten Schranke zum Schutz des Gehirns ein extrem schwieriger Prozess. Meiner Meinung nach erfordert dieses Problem einen brandneuen Ansatz. Deswegen entwickeln wir zusammen mit Hendrik, dem weltweiten Spitzenexperten auf diesem Gebiet, extrem winzige Nanoroboter. Solche Nanoroboter können für die Durchführung vieler verschiedener Funktionen programmiert werden. Sie können beispielsweise so konzipiert werden, dass sie die Blut-Hirnschranke finden, kleine Löcher schaffen, sich selber und Arzneimittel ins Gehirn überführen, das Zielmolekül finden (wie A-beta-Abfall) und sowohl das Zielmolekül als auch sich selbst zerstören. Ich glaube, DNA-Nanoroboter sind die Zukunft der Arzneimittelabgabe (Drug Delivery), insbesondere bei neurodegenerativen Krankheiten und Krebs.
im Dialog: Viele Menschen sterben an genetischen Defekten, wie der Huntington-Krankheit. An welchen neuen Strategien arbeiten Sie, um diesen Defekt zu heilen?
Dr. Ertürk: Ein anderer bedeutender Einsatzort unserer Technologie wird im Bereich der Gentechnologie unter Anwendung von CRISPR/Cas9 liegen. Viele tödliche Krankheiten werden, wie Sie bereits erwähnten, durch eine einzige Mutation auf einem Gen verursacht. Obwohl die CRISPR/Cas9-Methode die Zukunft der Gentherapie zu sein scheint, kann sie auch schwere unerwünschte Genveränderungen verursachen. Unsere Technologie kann bei der Perfektionierung des Gen-Editings mit CRISPR/Cas9 für klinische Anwendungen eine Schlüsselrolle spielen, weil wir jetzt alle Zellen im Körper sehen und bereits vorklinisch prüfen können, ob ihr Genom richtig editiert wurde oder nicht.
im Dialog: Wie lange wird es dauern, bis wir 150 Jahre gesund leben können?
Dr. Ertürk: Ich kann mir das in den nächsten 25 Jahren vorstellen. Wir sollten also darauf achten, nicht in den nächsten zwei bis drei Jahrzehnten zu sterben, da wir ansonsten ein weiteres Jahrhundert gesunden Lebens verpassen könnten, ermöglicht durch die moderne Wissenschaft.
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