Ein einzigartiger Ansatz für die biopharmazeutische Formulierungsentwicklung

Leukocare nutzt erstklassige Technologien, um in diesem Bereich neue Wege zu gehen

Interview mit Michael Scholl, CEO Leukocare AG

Michael Scholl gründete Leukocare 2003 gemeinsam mit Prof. Martin Scholz. Der gelernte Wirtschaftsingenieur baute das Unternehmen, das biofunktionalisierte Medizinprodukte entwickelte, zu einem erfolgreichen Dienstleister für Formulierungsentwicklung aus. Heute wächst das Unternehmen rasant und gilt als führend bei der Bereitstellung eines ganzheitlichen bioinformatischen Ansatzes für die Formulierungsentwicklung. Leukocare kombiniert Expertenwissen in der biopharmazeutischen Formulierungsentwicklung mit modernster Bioinformatik und Biostatistik, um die Formulierung bestmöglich auf die Bedürfnisse des Arzneimittels abzustimmen und den Formulierungsentwicklungsprozess zu beschleunigen. Am Münchner Innovations- und Gründerzentrum für Biotechnologie (IZB) haben wir mit Michael Scholl über Unternehmenswachstum gesprochen und über die Notwendigkeit, Chancen zu ergreifen.

Herr Scholl, Sie sind mit Leukocare im vergangenen Jahr in größere Räumlichkeiten im IZB umgezogen. Was bedeutet dieser Umzug für Sie?
Der Umzug war ein wichtiger Schritt für uns. Leukocare ist stark gewachsen. Insbesondere in den letzten drei Jahren haben wir die Zahl der Mitarbeiter von 30 auf über 90 verdreifacht, Tendenz steigend. Hinzu kam die Corona-Pandemie, bei der man eine zu hohe Mitarbeiterdichte im Büro und Labor vermeiden wollte. Also mussten wir entweder in größere Räumlichkeiten im IZB umziehen oder den Campus verlassen, was wir nicht wollten. Wir genießen diesen inspirierenden Standort sehr und ebenso die Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen unserer Branche, die sich in unmittelbarer Nähe befinden. Der Umzug gab uns also die Möglichkeit, in dieser großartigen Nachbarschaft zu bleiben und gleichzeitig dem Wachstum des Unternehmens Rechnung zu tragen.

Welche Meilensteine haben Sie seit dem Einzug ins IZB im Jahr 2010 erreicht?
Es gibt eine Reihe von Meilensteinen, aber der wichtigste ist, dass wir das Unternehmen strategisch um 180 Grad gedreht haben. Als wir 2010 nach Martinsried kamen, war Leukocare noch ein Entwicklungsunternehmen für Medizinprodukte. Im Zuge dieser Produktentwicklung haben wir eine Technologieplattform entwickelt und das Unternehmen in Folge strategisch in Richtung eines Technologie- und Dienstleistungsanbieters im Bereich Stabilisierung von Biologika im Allgemeinen und Formulierungsentwicklung von biopharmazeutischen Produkten im Speziellen bewegt. Nach diesem Wandel haben wir die Technologie weiterentwickelt und ein breiteres Patentportfolio aufgebaut. Weitere wichtige Meilensteine mit großem Nutzen für unsere Technologien waren die strategischen Allianzen mit Rentschler Biopharma und Xellia ApS, sowie im vergangenen Jahr der Aufbau einer US-Niederlassung mit vollwertigen Entwicklungslabors in der Region Boston.

Sie sind ein Spezialist für biopharmazeutische Formulierungen. Wie erklären Sie jemandem, der keine Ahnung von Biotechnologie hat, was das ist und welchen Nutzen es für die Gesellschaft hat?
Um Medikamente den Patienten zugänglich zu machen, müssen sie über weite Strecken transportiert werden, Ärzte oder Apotheker müssen sie lagern und sie müssen in einer entsprechenden Darreichungsform vorliegen, damit sie den Patienten verabreicht werden können. Vor allem bei biopharmazeutischen Arzneimitteln kann dies schwierig sein. Ein biopharmazeutisches Arzneimittel besteht aus der Arzneimittelsubstanz – dem eigentlichen Wirkstoff – und einigen Hilfsstoffen, die die Arzneimittelsubstanz stabilisieren und es ermöglichen, sie über einen längeren Zeitraum zu lagern und zu verabreichen. Leukocare ist in der Lage, diese kleinen Bestandteile in verschiedenen Rezepturen für unsere Kunden so zu kombinieren, dass Stabilität und Transportfähigkeit erreicht werden und somit sichergestellt werden kann, dass es keine Probleme in der Logistikkette gibt. Das ist es also, was wir tun: wir stabilisieren einen Arzneimittelwirkstoff und machen ihn für den Patienten in geeigneter Weise verabreichbar. Wir können auch ein Beispiel nennen: Ein Kunde kam mit einem Adenovirus zu uns, das nach 12 Monaten „in Ordnung und mehr oder weniger stabil“ war, aber mit der bestehenden Formulierung 99 Prozent an Aktivität (Wirksamkeit) verloren hatte. Es gelang uns, die Formulierung so zu verbessern, dass das Adenovirus mindestens 24 Monate lang stabil war. Das war ein zusätzlicher Vorteil für den Kunden. Letztendlich kann die richtige Entwicklung von Formulierungen dazu führen, dass neue Therapien schneller (und/oder einfacher und/oder günstiger) zu bedürftigen Patienten gelangen – ein klarer Vorteil für die Gesellschaft.

Warum ist das Thema Formulierung so wichtig?
Die Formulierung ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass aus einem Wirkstoff ein Arzneimittel wird. Eine reine Arzneimittelsubstanz ist noch kein Produkt, sondern nur ein Element davon. Ohne eine geeignete Formulierung wird dieses Produkt entweder während der klinischen Entwicklung oder spätestens bei der Vermarktung Probleme bekommen. Es ist nie zu früh, sich Gedanken über die Formulierung zu machen. Sobald Sie ein Produktprofil (Target Product Profile) im Kopf haben, dass das Design Ihres Endprodukts beschreibt, wirkt sich dies auf die Formulierung aus. Je früher man sich über die Formulierung Gedanken macht, desto einfacher ist es, das Risiko während der klinischen Entwicklung zu minimieren und die beste Formulierung entsprechend des Produktprofils zu entwickeln. Eine geeignete Formulierung verschafft jedem Produkt viele Wettbewerbsvorteile, z. B. eine vereinfachte Lieferkette oder eine bequemere Verabreichungsform für Ärzte und Patienten. Wenn die Formulierungsentwicklung nicht ordnungsgemäß durchgeführt wird, kann ein potenziell wirksames Arzneimittel, das vielen Patienten hätte helfen können, in der Entwicklung scheitern, z. B. weil der Wirkstoff nicht mehr stabil und wirksam ist, wenn er dem Patienten verabreicht wird.

Dr. Kathrin Ladetzki-Baehs, Gründerin und Geschäftsführerin von adivo GmbH; Dr. Markus Waldhuber, Gründer und Geschäftsführer adivo GmbH (v.ln.r.)

Dr. Kathrin Ladetzki-Baehs, Gründerin und Geschäftsführerin von adivo GmbH; Dr. Markus Waldhuber, Gründer und Geschäftsführer adivo GmbH (v.ln.r.)

Was macht Leukocare anders als seine Konkurrenten?
Leukocare hat einen einzigartigen Ansatz für die Kombination dieser Inhaltsstoffe, die sogenannten Hilfsstoffe. Man gibt nicht einfach ein oder zwei Hilfsstoffe dazu, sondern muss sie auf ziemlich komplexe Weise kombinieren, um die Hotspots des Moleküls, das als Medikament wirkt, gezielt anzusprechen. Anstelle von Hochdurchsatz-Screening, was viel Zeit, Material und Kosten erfordert, wenden wir biostatistische und bioinformatische Ansätze an, die es uns ermöglichen, die beste maßgeschneiderte Formulierung in kürzester Zeit und mit der geringsten Menge an Wirkstoff zu entwickeln. Wir verfügen über eine Bioinformatikabteilung, und ein wichtiger Teil unserer Entwicklungsarbeit besteht darin, die Arbeit aus dem Labor in in-silico Methoden zu übertragen, indem wir z.B. den DoE-Ansatz (Design of Experiment) anwenden. Dies ermöglicht es uns, den größtmöglichen Designraum abzudecken und weitaus mehr Kombinationen von Hilfsstoffen in Betracht zu ziehen, als dies klassischerweise möglich wäre, was zu besseren Formulierungen führt.

Sie haben die strategische Allianz mit Rentschler Biopharma, die Sie vor fünf Jahren eingegangen sind, als einen Ihrer wichtigsten Meilensteine bezeichnet. Welche Synergieeffekte ergeben sich aus dieser Partnerschaft?
Unser Partner Rentschler Biopharma konzentriert sich auf die Herstellung von Arzneimitteln nach GMP-Verfahren und entsprechende Prozessentwicklung. Jeder Kunde, der an Rentschler herantritt, braucht per Definition auch eine Formulierung, um diesen Wirkstoff in ein Arzneimittel zu überführen. Und das ist die Schnittstelle, die Leukocare bieten kann. Mit dieser Allianz und Co-Marketing-Partnerschaft integrieren wir also die gesamte Formulierungsentwicklung direkt in das Projekt- und Prozessmanagement von Rentschler und können so die Programme der Rentschler-Kunden risikoärmer und schneller machen. Wir können die verschiedenen Entwicklungsschritte genauer miteinander verknüpfen und mit der Formulierungsentwicklung beginnen, bevor Rentschler die Wirkstoffentwicklung abgeschlossen hat. Dadurch können wir nicht nur einige Monate in der Entwicklung einsparen, sondern auch die Qualität erhöhen, weil wir im ständigen Informationsaustausch miteinander stehen. Es ist also ein intensives Geben und Nehmen zwischen den Partnern, alles zum Nutzen der gemeinsamen Kunden.

Im Juni 2021 gaben Sie eine Finanzierung mit Petrichor bekannt, um Ihre Präsenz in den USA auszubauen. Wie ist das Geschäft in Milford angelaufen und welche Besonderheiten beobachten Sie am neuen Standort?
Wir haben den Standort Ende letzten Jahres eröffnet und befinden uns derzeit in der Ausbauphase. Wir haben etwas unterschätzt, wie lange das Recruitment dauern würde, und es war nicht immer einfach, während der Corona-Pandemie einen neuen Standort aufzubauen. Wir sind sehr froh, dass am Ende alles geklappt hat, und dass wir jetzt ein großartiges Team für unsere Kunden in den USA vor Ort haben. Wir haben bereits festgestellt, dass der Markt enorm ist und es viele potenzielle Kunden in den USA insgesamt und speziell im Großraum Boston gibt. Außerdem wurden wir in unserer Annahme bestätigt, dass wir unsere Kunden in den USA am besten vor Ort, mit wenig oder keiner Zeitverschiebung, bedienen können.

Wie gelingt es Ihnen angesichts der steigenden Nachfrage nach gut ausgebildetem Personal, die besten Mitarbeiter für Leukocare zu gewinnen und sie zu halten?
Im Großraum Boston ist Leukocare natürlich keine Arbeitgebermarke, die für sich allein spricht. Wir müssen Leute ansprechen, die wahrscheinlich noch nie von uns gehört haben und das macht es nicht einfacher. Auf der anderen Seite stellen wir fest, dass die Leute deutsche Unternehmen mögen, weil es hier eine andere Einstellung gibt, z.B. keine Hire-and-Fire-Mentalität. Wir sagen den Leuten, dass sie bei uns eine langfristige, vertrauensvolle Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehung bekommen. In Deutschland ist die Situation nicht so angespannt wie in den USA. Insbesondere München ist ein guter Standort, um Mitarbeiter zu gewinnen, aber dennoch ist es wichtig, die richtigen Leute zu finden. Wir brauchen nicht nur gute Wissenschaftler, sondern auch die richtige Mentalität. Die Mitarbeiter, die an unseren Projekten arbeiten, müssen natürlich kundenorientiert sein, über den Tellerrand schauen und den Kunden optimal betreuen,. Wir arbeiten ständig an unserem Rekrutierungsprozess und tun unser Bestes, um unsere Mitarbeiter zufrieden zu stellen, was nicht nur mit Gehalt zu tun hat. Es geht um unsere Unternehmenskultur, Transparenz, die Art und Weise, wie wir miteinander umgehen, wie wir unsere Mitarbeiter befähigen und die Eigenverantwortung fördern. Und ich denke, dass wir in dieser Hinsicht recht gut abschneiden.

Offenbar gelingt es Ihnen auch recht gut, Ihre Investoren bei Laune zu halten, nicht wahr?
Ja, wir haben vom ersten Tag an Investoren gehabt, die unseren strategischen Wandel unterstützt haben. Sie haben in ein Unternehmen mit Medizinprodukten in der klinischen Entwicklung investiert und landeten schließlich bei einem Unternehmen, das Formulierungsentwicklungen anbietet. Und sie sind immer noch zufrieden. Diese Investoren sind langfristig orientiert und sehr loyal. Operativ gesehen ist unser Unternehmen profitabel. Aber wie ich bereits erwähnt habe, haben wir im letzten Jahr einen neuen Investor an Bord geholt, Petrichor, einen amerikanischen Private-Equity-Fonds. Das war ein sehr wichtiger Schritt für uns, denn wir wollten unsere Präsenz in den USA in jeder erdenklichen Weise ausbauen und den Kundenstamm, unsere Entwicklungsaktivitäten und unsere Präsenz vor Ort stärken, aber auch den US-Markt in unserem Cap Table ausbauen. Petrichor unterstützt uns enorm, glaubt fest an unser Geschäftsmodell und wird auch unsere weitere Wachstumsstrategie unterstützen.

Apropos Wachstum, was möchten Sie mit Leukocare erreichen?
Unsere Vision für das Unternehmen ist es, einer der führenden Anbieter von Dienstleistungen für die Entwicklung von Arzneimitteln zu werden. Das bedeutet, dass ein Kunde mit dem Wirkstoff zu Leukocare kommen kann und der Kunde ein Arzneimittel zurückbekommt – und alles dazwischen wird von Leukocare und Leukocares strategischen Partnern gehandhabt. Die Umwandlung eines Wirkstoffs in ein Arzneimittelprodukt umfasst natürlich die Formulierungsentwicklung, aber auch die Analytik, Studien zu Stabilität und Robustheit sowie Prozessentwicklung. Unser auf Bioinformatik basierender Ansatz wird all dies unterstützen, einschließlich der Entwicklung neuer Dienstleistungen wie Molecular Modelling, das wir unseren Kunden anbieten, um die Entwicklungszeiten zu verkürzen und die Qualität der Entwicklung zu verbessern.

Darüber hinaus erweitern wir unser Produktangebot von der oben erwähnten vollumfänglichen Entwicklung über die frühzeitige Analyse und Bewertung von Formulierungen bis hin zur späteren Robustheitsprüfung und Optimierung der Formulierungen. Somit bieten wir unseren Kunden verschiedene Optionen je nach Entwicklungsbedarf, Zeitplan und Budget an.

Wenn Sie an den Beginn Ihrer beruflichen Laufbahn zurückdenken, was hätten Sie damals gerne gewusst? Welchen Rat würden Sie jüngeren Unternehmern gerne geben?
Ich könnte ein Buch darüberschreiben, was ich gerne gewusst hätte. Als ich in der Biotech-Branche anfing, habe ich die Komplexität des Geschäfts in jeder Hinsicht völlig unterschätzt. Die größte Herausforderung für ein Start-up sind wahrscheinlich ungeduldige Investoren. Es ist also entscheidend, die richtigen Investoren an Bord zu holen und eine loyale Beziehung zu ihnen aufzubauen. Ein weiterer Ratschlag lautet, opportunistisch zu bleiben. Erkennen Sie Chancen und ergreifen Sie sie so konsequent wie möglich.