Interview mit Frau Prof. Nadia Harbeck

„Wir nehmen die Patienten an die Hand und führen sie durch die Krankheit“

Video mit Frau Prof. Nadia Harbeck

Brustkrebs ist immer lebensbedrohlich und zählt zu den häufigsten bösartigen Erkrankungen der Frau. Prof. Nadia Harbeck hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, für ihre Patientinnen und Patienten die bestmögliche Therapie zu finden. Sie leitet das Brustzentrum der Universität München (Comprehensive Cancer Center CCC LMU) an zwei Standorten in München (Frauenkliniken Maistrasse-Innenstadt und Klinikum Großhadern). Zudem leitet sie das interdisziplinäre Tumorboard für Brustkrebs in dem die individuellen Krankengeschichten diskutiert werden. Darüber hinaus lehrt sie als Professorin für Konservative Onkologie an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU). Als einzige deutsche Brustkrebsexpertin ist sie in alle internationalen Leitliniengruppen zu Brustkrebs berufen worden. Als Scientific Director der Westdeutschen Studiengruppe (WSG) ist sie maßgeblich am Design und der Durchführung klinischer Studien für Brustkrebspatienten beteiligt. Susanne Simon und Rainer Rutz haben Prof. Harbeck im Brustzentrum besucht und interviewt.

im Dialog: Frau Prof. Harbeck, Ihr Ziel ist es, den Therapiealltag ihrer Patienten zu verbessern. Wie erreichen Sie das?
Prof. Harbeck: Nur durch eine sichere Diagnosestellung gefolgt von einer von Anfang an unter Berücksichtigung der Tumorbiologie interdisziplinär geplanten und qualitativ hochwertigen Therapie können heutzutage die besten Überlebenschancen erreicht werden. So können wir 70 bis 80 Prozent der Patienten heilen.

im Dialog: Wer kommt zu Ihnen ins Brustzentrum?
Prof. Harbeck: Im Jahr haben wir durchschnittlich 700 bis 800 neue Patienten jeglichen Alters, darunter auch schwangere Frauen und Männer bei etwa ein Prozent der Erstdiagnosen. Die einen werden von ihrem Frauenarzt oder anderen Krebszentren überwiesen. Viele informieren sich im Internet und kommen gezielt zu uns zur Therapie, aber manchmal auch um eine Zweitmeinung einzuholen.

im Dialog: Können Sie uns einen kurzen Einblick in Ihre berufliche Karriere geben?
Prof. Harbeck: 19 Jahre war ich an der Frauenklinik in München tätig, zuletzt als Leitung der Konservativen Onkologie, dann übernahm ich für drei Jahre die Leitung am Brustzentrum der Universität zu Köln und wurde 2011 als Professorin und Leiterin des Brustzentrums an die LMU nach München
berufen. Dort führte ich standortübergreifend gleiche Strukturen an den beiden Standorten sowie neue Therapieformen ein. Zudem haben wir die Teilnahme an Phase-II und –III-Studien ausgeweitet.

Bild 2 Frauen In Der Biotechnologie 2017#1 Prof.Harbeck

Leiterin des Brustzentrums der Universität München
(Comprehensive Cancer Center CCC LMU),

Leitung interdisziplinäres Tumorboard für Brustkrebs,
Professorin für Konservative Onkologie an der
Ludwig-Maximilians-Universität (LMU)

im Dialog: Sie sind als einziger deutscher Experte in allen internationalen Leitliniengruppen für Brustkrebs berufen und arbeiten in führender Position in einer der deutschen Brustkrebs-Studiengruppen. Welche Vorteile haben ihre Patienten durch ihr Engagement?
Prof. Harbeck: Im Rahmen meiner Tätigkeit als Scientific Director der Westdeutschen Studiengruppe (WSG) bin ich an dem Design von klinischen Studien für Brustkrebspatienten maßgeblich beteiligt. Ziel der Studien ist es, Therapiekonzepte zu entwickeln, bei denen die Heilungschancen und die Verträglichkeit gegenüber der derzeitigen Standardtherapie verbessert werden. Unsere Patienten haben großes Interesse an unseren aktuellen Studien in Großhadern oder in der Maistrasse teilzunehmen. Seit letztem Jahr führen wir neue Therapiekonzepte auch in Form der Immuntherapie durch.

im Dialog: Was zeichnet das Brustzentrum der Universität München aus?
Prof. Harbeck: Wir arbeiten mit einem interdisziplinären engagierten Team auf höchstem Niveau und bieten ein umfangreiches Studienportfolio. Der Trend geht zur individualisierten Therapie mit Vermeidung von Über- und Untertherapie: hier spielt das Brustzentrum der LMU in Klinik, Forschung und Lehre von Beginn an eine führende Rolle. Zudem ist uns die menschliche Komponente enorm wichtig. Wir nehmen die Patienten an der Hand und führen sie durch ihre Krankheit.

im Dialog: In wieweit arbeiten Sie mit dem Innovations- und Gründerzentrum für Biotechnologie zusammen?
Prof. Harbeck: Es besteht eine Kooperation mit der Spherotec GmbH im IZB, die eine Analyse für das geeignete Krebsmedikament des individuellen Tumors entwickelt hat. Dadurch können den Patientinnen eventuell unnötige Chemotherapien erspart werden. Kollegen haben mit Frau Dr. Barbara Mayer auch schon gemeinsame Studien durchgeführt. Die Start-up Szene hier in München finde ich grundsätzlich sehr spannend. Ich selbst habe mit Kollegen schon eine APP zur Unterstützung der Medikamenteneinnahme (CANKADO) entwickelt.

„Prof. Harbeck ist als einziger deutscher Experte in alle internationalen Leitliniengruppen für Brustkrebs berufen.“

im Dialog: Frau Prof. Harbeck, Sie haben vier Kinder. Wie konnten Sie Beruf und Familie so gut vereinen?
Prof. Harbeck: Die Anfangszeit war anstrengend. Es gab weder Krippenplätze noch verlängertes Elterngeld. Nach einer Fotolehre in Kanada studierte ich Medizin in München. Für meine Facharztausbildung habe ich acht statt fünf Jahre benötigt. Aber man muss die gängigen Wege einfach verlassen. Als ich ein kleines Baby hatte, habe ich zum Beispiel nach der Geburt wissenschaftlich gearbeitet und mich dann als erste Frau an der Frauenklinik der TU München habilitiert. Früher hatten Frauen in der universitären Medizin keine Führungspositionen. Die Gremien wurden durchweg männlich besetzt. Auch an der Frauenklinik der LMU München war ich die erste berufene Professorin. Ich würde mich freuen, wenn sich mehr Frauen auf Leitungs-Positionen bewerben.

im Dialog: Wie sieht die Brustkrebstherapie in 10 Jahren aus?
Prof. Harbeck: Wir werden unter Kenntnis molekularer Testergebnisse individuelle und personalisierte Therapien anbieten und wahrscheinlich weniger Operationen an Brust und Axilla durchführen. Die Lokaltherapie wird Teil eines interdisziplinären Therapiekonzeptes bleiben, aber die Zeit des „erstmal den Knoten operieren und dann die Therapie festlegen“ ist vorbei.

Klinik und Poliklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe
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